Interview mit Peter Bolz: „Menschenrechte bleiben auf der Strecke“

Es war ein echter Paukenschlag, der blitzschnell weltweit die Runde machte. Ende Januar 2019 suspendierte Athanasios Pragalos, Präsident der World Taekwondo Europa (WTE) insgesamt 18 deutsche Funktionäre für die Teilnahme am Sportbetrieb. Außerdem wurden von ihm alle für den Presidents Cup eingeladenen deutschen Kampfrichter wieder ausgeladen.

Mit dieser Strafaktion richtete sich der Zorn von Athanasios Pragalos bereits zum zweiten Mal gegen die Deutsche Taekwondo Union (DTU).

Bei der Begründung für die vorläufige Suspendierung müssten eigentlich alle Alarmglocken schrillen. Vom WTE-Präsident Pragalos wurden nämlich alle Funktionäre gesperrt, die potentiell für einen Dringlichkeitsantrag gestimmt haben. Die Funktionäre wollen von der WTE wissen, wieso in der Bilanz für das Jahr 2017 fast 400.000 Euro an Startgebühren fehlen.

Eine Suspendierung ist für jede Nation die absolute Höchststrafe, da ein normaler Sportbetrieb dann nur noch unter erschwerten Bedingungen möglich ist. Während die anderen vier Kontinente bislang noch nie gegen eines ihrer Mitgliedernationen eine Suspendierung ausgesprochen hat, wurden in Europa in den letzten vier Jahren bereits vier Nationen suspendiert. Diese drakonische Strafe betraf bisher die gesamte Mitgliedsnation.

Mit der momentan anhängigen Suspendierung hat WTE-Präsident Pragalos einen Weg beschritten, der Juristen aus aller Welt hellhörig werden lässt. Dieses Mal richtete sich seine Strafaktion nicht gegen die Mitgliedernation, sondern gegen einzelne Funktionäre, die einem Landesverband dieser Mitgliedernation, in diesem Fall Deutschland, angehören. Viele sprechen mittlerweile von einer „Sippenhaftung“ – die in demokratischen Ländern absolut verpönt ist.

Mit Ausnahme von zwei Funktionären wurden von der WTE alle Suspendierungen wieder zurückgenommen. TKD-News sprach mit Peter Bolz, dem Pressereferenten der Bayerischen Taekwondo Union (BTU), der zusammen mit dem BTU-Präsident Gerd Kohlhofer weiter suspendiert bleibt.

Was denken Sie denn darüber, dass Sie immer noch suspendiert sind?

Als ich das gehört habe, war ich wirklich sprachlos. Aus meiner Sicht ist das eine Katastrophe. Ich war entsetzt, dass Athanasios Pragalos schon wieder so eine Suspendierung ausgesprochen hat, über die man eigentlich nur den Kopf schütteln kann.

Können Sie kurz die Hintergründe erklären, die zu dieser Suspendierung geführt haben?

Das Ganze ist eigentlich ziemlich banal. Die WTE hat letztes Jahr ihre Bilanz für das Jahr 2017 veröffentlicht. Bei der Überprüfung dieser Bilanz hat sich herausgestellt, dass dort Startgelder in Höhe von 164.000 Euro eingetragen wurden. In einem „Operation report“ hat die WTE veröffentlicht, dass bei den WTE-Turnieren 2017 insgesamt 5.515 Teilnehmer an den Start gegangen sind. Da jeder Teilnehmer eine Startgebühr von 100 Euro bezahlen muss, hätten in der Bilanz eigentlich 551.500 Euro an Einnahmen stehen müssen.

In dem Dringlichkeitsantrag sollte darüber abgestimmt werden, ob die DTU den europäischen Verband auffordern soll, dass dieser darüber Auskunft geben soll, wo die fehlenden 400.000 Euro geblieben sind. Außerdem sollte die DTU beantragen, dass die Bilanz der letzten drei Jahre von einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft überprüft werden soll.

Weshalb hat denn WTE-Präsident Athanasios Pragalos wegen der Abstimmung so aggressiv reagiert?

Das weiß ich nicht. Für dieses aggressive Verhalten habe ich keine vernünftige Erklärung. Wenn man nichts zu verbergen hat, macht das keinen Sinn. Ich vermute aber, dass er sich darüber geärgert hat, dass ich über diesen Antrag einen Artikel auf der Homepage der Bayerischen Taekwondo Union veröffentlicht habe.

Wieso haben Sie denn darüber berichtet?

Ich bin der gewählte Pressereferent der Bayerischen Taekwondo Union. Ich bin nicht der Pressesprecher von der WTE. Die Vereine erwarten von mir, dass ich mich auch mit den Vorkommnissen in den Verbänden kritisch auseinandersetze und sachlich darüber berichte. Wenn in einer Mitgliederversammlung zur Sprache kommt, dass in der Bilanz der WTE fast 400.000 Euro nicht aufgeführt sind, dann ist das meiner Meinung nach durchaus berichtenswert.

Ich kann natürlich verstehen, dass es für die Betroffenen, die in meinen Berichten kritisiert werden, oft recht ärgerlich ist. Nach meinem Verständnis gehört es zum Job eines hohen Sportfunktionärs oder eines Politikers, dass er mit Kritik souverän umgeht. Ich hätte eigentlich damit gerechnet, dass bei der WTE die Verantwortlichen für diese Bilanz zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn WTE-Präsident Athanasios Pragalos seine Kritiker durch Strafaktionen zum Schweigen bringen will, ist das der absolut falsche Weg.

Der von Ihnen veröffentlichte Artikel wurde vom Investigations Committee der WTE geprüft. In dem darüber erstellten Protokoll heißt es dort „…dass der Bericht bestimmte Annahmen und Formulierungen enthält, die darauf hindeuten, dass die von der WTE veröffentlichten Abschlüsse falsch und/oder gefälscht sind“.

Die Begründung klingt ziemlich wachsweich und konstruiert. An anderer Stelle wird sogar behauptet, ich hätte verleumderische Nachrichten veröffentlicht. Für mich sind das unglaubliche Unterstellungen.

Der Vorsitzende bei diesem Komitee war Dr. Reza Zademohammad aus Österreich. Ich kenne Reza schon länger. Deshalb kann ich mir auch nicht verstehen, weshalb er so einen Unsinn in das Protokoll geschrieben hat.

Richtig ist, dass ich nur darüber berichtet, dass auf der Mitgliederversammlung über einen Dringlichkeitsantrag abgestimmt wurde, weil in der WTE-Bilanz 2017 fast 400.000 Euro fehlen. Ich habe also keine Behauptungen aufgestellt, sondern nur über Tatsachen berichtet.

Wer das Protokoll aufmerksam durchliest, erkennt eigentlich ziemlich schnell, dass da kein Ermittlungskomitee getagt hat. Auf mich wirkt das eher wie ein Tribunal.

Wie kommen Sie denn darauf?

In dem Protokoll hat Reza fälschlicherweise behauptet, dass ich die WTE mit dem Artikel verleumdet hätte. Eine Verleumdung liegt vor, wenn ich eine unwahre Tatsache behaupte, von der ich weiß, dass sie nicht stimmt.

Wenn ich als Kriminalbeamter so einen Fall auf den Tisch bekomme, müsste ich erst mal ermitteln, ob die Behauptung wirklich falsch ist. Ich hätte also erst einmal recherchiert, weshalb in der Bilanz 2017 fast 400.000 Euro fehlen. Wenn da nichts dran ist und ich unterstelle, dass der Beschuldigte das auch wusste, kann ich von einer Verleumdung ausgehen.

Im Protokoll wurden die fehelenden 400.000 Euro kein einziges Mal erwähnt. Das hat die angeblichen Ermittler einfach nicht interessiert. Für mich ist das Ganze eine Farce.

Wie sagen Sie denn dazu, dass die Suspendierung von 18 Personen als „unverhältnismäßige Reaktion“ bewertet wurde?

Ich würde das eher als riesengroßen Skandal bezeichnen. Ich bin fassungslos, dass ein olympischer Verband eine Mitgliederversammlung ausspioniert und sich von Günstlingen und Zuträgern die Namen von allen Personen geben lässt, die einem Antrag zugestimmt haben. Noch tragischer ist aber, dass der Verband die Namen seines Maulwurfs von der WTE nicht überprüft wurden. Von der WTE wurden Personen suspendiert, die nicht anwesend waren. Mit der Floskel „unverhältnismäßige Reaktion“ hat man diesen handfesten Skandal wirklich schön verpackt umschrieben.

Ich frage mich, wie das in Zukunft weitergehen soll. Werden jetzt die Mitgliederversammlungen von allen europäischen Nationen ausspioniert? Muss jetzt jeder mit einer Suspendierung rechnen, wenn er sich kritisch über die WTE äußert?

Bei Ihnen und beim BTU-Präsidenten Gerd Kohlhofer wurde die Suspendierung nicht zurückgezogen.

Ich habe schon öfter kritische Artikel über die WTE veröffentlicht, in letzter Zeit wegen ihrer immer stärker auf Kommerz ausgerichteten Politik. Etliche Artikel mussten aus dem Internet entfernt, um im Raum stehende Eskalationen für die DTU zu vermeiden.

Irgendwann muss aber mal Schluss damit sein, dass ein olympischer Verband kritische Beiträge immer als mögliche Verleumdungen gegen den Verband interpretiert und Strafaktionen androht. Mit solchen Drohungen bewegt sich ein Sportverband auf ganz dünnem Eis. Wenn die WTE der Meinung ist, dass sie in einem Presseartikel verleumdet wurde, dann kann eine Strafanzeige wegen Verleumdung erstatten.

Es ist nicht das erste Mal, dass die WTE gegenüber der DTU mit „Konsequenzen“ gedroht hat, wenn sie nicht dafür sorgt, dass Artikel von der Homepage gelöscht werden, in denen sportpolitische Entscheidungen der WTE kritisch hinterfragt werden. So ein Verhalten ist nicht akzeptabel und auch nicht entschuldbar.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Informationsfreiheit und die Pressefreiheit gehören zu den sogenannten Menschenrechten und sind im deutschen Grundgesetz, in der Menschenrechtskonvention der Europäischen Union und in der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen besonders geschützt. Ich würde der WTE dringend empfehlen, sich einmal intensiv mit diesen rechtlichen Bestimmungen auseinanderzusetzen. Ich bin auf alle Fälle nicht bereit, mir meine Menschenrechte absprechen zu lassen.

Haben Sie eine Erklärung, wie in dem Geschäftsbericht eines olympischen Sportverbandes die Startgelder von fast 400.000 Euro nicht verbucht wurden?

Nein, für mich ist das unerklärlich und absolut kurios. Ich habe noch nie gehört, dass es schon mal einen olympischen Sportverband gab, der eine Bilanz veröffentlicht hat, in der fast 400.000 Euro fehlen. Um alle Zweifel auszuräumen, muss das von einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aufgeklärt werden. Hier geht es um den guten Ruf der WTE.

Wer ist denn beim europäischen Verband für das Desaster wegen der ominösen Bericht 2017 verantwortlich?

Normalerweise ist das der gewählte Schatzmeister. Bei der General Assembly der WTE 2017 wurde der Luxemburger Norbert Welu zum Schatzmeister gewählt. Nach den Wahlen 2017 hat WTE-Präsident Athanasios Pragalos seinen engen Freund Antonio Barbarino zum General-Schatzmeister ernannt. Ich nehme deshalb an, dass deshalb Antonio Barbarino die Verantwortung für den ganzen Schlamassel trägt.

Wer ist denn Antonio Barbarino?

Antonio Barbarino arbeitet in Deutschland bei einer Versicherung und ist sehr eng mit WTE-Präsident Pragalos befreundet. Seit 2015 hat Athanasios Pragalos seinen Freund Barbarino bei der WTE in vier Ämter ernannt, und zwar erst zum Schatzmeister. Danach wurde Antonio Barbarino zum stellvertretenden Generalsekretär ernannt. Dieser Posten wurde erst neu geschaffen. Danach wurde er zum General-Schatzmeister ernannt. Diesen Posten gab es vorher übrigens auch noch nicht. Außerdem hat ihn sein Freund Pragalos auch noch zum Council-Member ernannt.

Ärgern Sie sich über diese vielen Ernennungen?

Nein, so ein Postenschacherei interessiert mich nicht. Mich ärgert aber, dass Antonio Barbarino diese Posten und seine Freundschaft dazu benutzt, um Kritikern und Konkurrenten zu schaden.

Können Sie auch Beispiele nennen?

So hat er beispielsweise seinen Mitkonkurrenten bei einer Wahl zum Präsidenten eines Landesverbandes in einer unglaublichen Rufmordkampagne vor die Ethik-Kommission der WTE gezerrt. Die Kommission hat das Verfahren im Januar 2016 eingestellt, weil an den Vorwürfen absolut nichts dran war.

Seinem Rechtsanwalt Dr. Michael Lehner, ebenfalls ein ernanntes Council-Member der WTE, hat Antonio Barbarino 2016 beauftragt, gegen 12 deutsche Funktionäre eine Strafanzeige wegen Untreue zu erstatten. Unter den beschuldigten Personen war übrigens auch der BTU-Präsidenten Gerd Kohlhofer und auch meine Person. Die Vorwürfe in dieser Strafanzeige waren unglaublich dämlich. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft wegen erwiesener Unschuld eingestellt.

Momentan läuft gegen Gerd Kohlhofer wieder eine Strafanzeige wegen Untreue, die wieder von dem Council-Member Dr. Lehner erstattet wurde. Von diesem Rechtsanwalt wurden unzählige Personen als Zeugen genannt. Alle wurden von der Kriminalpolizei schriftlich vorgeladen. Ich kenne die Vorwürfe, sie sind dämlich und bösartig.

Gerd Kohlhofer hat über seinen Rechtsanwalt die Akteneinsicht beantragt. Nachdem die Ermittlungen demnächst abgeschlossen sind, wird sich zeigen, wer tatsächlich hinter dieser Strafanzeige steckt.

Hat Antonio Barbarino auch mit der Suspendierung von Ihnen und von Gerd Kohlhofer zu tun?

Laut dem Protokoll wurde die Suspendierung von WTE-Präsident Athanasios Pragalos sowie von Generalsekretär Michael Fysentzidis und von General-Schatzmeister Antonio Barbarino vertreten.

Als General-Schatzmeister ist Antonio Barbarino zumindest mitverantwortlich, dass die fast 400.000 Euro in der Bilanz 20017 fehlen. Er ist also befangen und kann keine freie Entscheidung treffen. Athanasios Pragalos weiß ganz genau, dass sein Freund Antonio einen fast schon krankhaften Hass gegen Gerd Kohlhofer und auch gegen mich aufgebaut hat. Dass er auch im Dreier-Gremium saß, macht die Suspendierung zur Farce. Mit Rechtstaatlichkeit hat das nichts zu tun.

Kennen Sie den Generalsekretär Michalis Fysentzidis?

Ich habe ihn nie persönlich kennengelernt. Er hat mich aber vor zwei oder drei Jahren unter Androhung von gerichtlichen Schritten aufgefordert, dass ich das Logo der WTE, damals war es noch die ETU, von der Internetseite der TaekwondoData entfernen soll.

Wieso sollten Sie denn das Logo entfernen?

Michael Fysentzidis ist Angestellter der WTE und muss tun, was man ihm anschafft. Weshalb ich das Logo der WTE entfernen sollte, weiß ich nicht. Ich habe mich aber ein bisschen über diese Aggressivität gewundert. Ich biete die Informationen auf der TaekwondoData kostenlos an.

Um die Datenbank auf dem neuesten Stand zu halten, opfere ich sehr viel Zeit. Ich mache das, weil mir der Taekwondosport sehr am Herzen liegt. Mittlerweile hat die TaekwondoData pro Jahr über eine Millionen Besucher, darunter auch sehr viele Medien und Institutionen. Jeder Besucher recherchiert im Durchschnitt über zwei Minuten in der TaekwondoData. Umgerechnet sind das vier Jahre! Darauf bin ich mächtig stolz.

Die WTE hat die vorläufige Suspendierung auch an den Weltverband geschickt. Offensichtlich soll dort eine weltweite Suspendierung geprüft werden.

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein olympischer Weltsportverband damit in Verbindung gebracht werden will, dass Kritikern aus dem kleinen bayerischen Landesverband die Menschenrechte aberkannt werden sollen. Bei den olympischen Verbänden ist man entsetzt über diese ganze Inszenierung.

Wie soll es denn jetzt weitergehen?

Ich kann nur abwarten und hoffen, dass wieder die Vernunft einkehrt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Autor: Der Jo

Holzhacken ist deshalb so beliebt, weil man bei dieser Tätigkeit den Erfolg sofort sieht. (Albert EInstein)